Mit Ausnahme der Startzeit (18.35 Uhr) vollzieht sich das Prozedere bis zum Süßen See analog zum Premierenbericht (siehe Thread-Anfang). Nettes Gruppenrollen, erstes Futterfassen in Teutschenthal, Individualisierung ab Seeburg, fast allein ab Harzgerode.
- Kurz vor Teutschenthal.
Die Führungsgruppe nimmt mich nach überlebter Kopfsteinmarter von Hedersleben und Bagel-Verzehr aus dem Eichhörnchenrucksack in Klostermansfeld auf, zügig nähern wir uns Harzgerode. Meine Prämisse für diesen Brevet hat noch Bestand, ich strebe minimale Unterbrechungen bei gleichzeitiger Fahrt im oberen Leistungsdrittel an. Derartige Philosophien teilen einige der etwa 40 Teilnehmer umfassenden Randonneursgemeinde - gemeinsam rollt es deswegen aber nicht automatisch. Klar, im Flachen versteckt es sich leicht im Feld, erst im Hügeligen treten die wahren Unterschiede zu Tage, pardon, in den Scheinwerferkegel. Ich liege zwischen 23 Uhr und Mitternacht meist auf den Aerobars, futtere die Salatration aus der rechten Rucksacknetztasche, überlege, mir ein Hörbuch zu gönnen. Es ist eine ruhige, windstille Nacht. Die Temperaturen erlauben lange Zeit das Fahren mit Arm- und Beinlingen, meine Jacke verbleibt auf dem Rücken. Dass die Führungsgruppe abreißen lässt nehme ich zur Kenntnis, wenngleich es mich verwundert. Nur drei Polen bleiben bei mir, kurbeln einen ähnlichen Rhythmus am Berg. Wir verständigen uns über Französisch(!!!)-Brocken, Englisch verstehen sie - alle Ü50 - leider nicht.
Irgendwo zwischen Treseburg und Wendefurth wird aus dem Quartett ein Duo, 1.43 Uhr überqueren wir beide die Rappbodetalsperre. Im Februar war ich zuletzt in der Region, joggte morgens über die Staumauer, eine dünne Schneedecke lag auf den Waldwegen. Die jetzige Nachtfahrt durch das Bode-Städtchen (mit einer aktuellen Straßensperrung neben der Hermannshöhle) war insofern besonders, als dass mir im Winter unsere derzeitige Konstellation nicht im Traum in den Sinne gekommen wäre. Dort ist der Bäcker, der uns damals samstags um 8.45 Uhr mit Bergsteigerbrot, Croissants und Brötchen für die Tageswanderung ausstattete; dort, links neben mir, rollt nun am 13. Juni um 1.57 Uhr ein Pole auf blauem Trek mit mir zum Brocken. Das Leben ist schon verrückt.
An der Kalten Bode in Schierke befülle ich eine kleine Trinkflasche für die finalen Kilometer bis zum ersten Checkpoint. Die Brockenstraße hüllt sich in Dämmerlicht, vereinzelt treten Zweierteams mit Wanderstöcken aus dem Dunkel des Waldes. Meine neugierige Nachfrage bestätigt die Vermutung: Sie möchten den Sonnenaufgang auf dem höchsten Berg Norddeutschlands geniessen.
- 3.45 Uhr auf dem Brocken. Wernigerode und abnehmender Mond.
Für sowas haben wir keine Zeit, nach Abholung des Stempels in der Wetterwarte um 3.45 Uhr und Handyfotos mit Puzzlecharakter wartet nämlich der Kyffhäuser.
Welche Entscheidung ist richtig? Mit den Freunden fahren oder eisern den eigenen Vorsatz durchziehen? Ich werde ab Kilometer 221 bis zum Schluß keine überzeugende Argumentationslinie Pro/Kontra konstruieren können. Pro sind definitiv die Windschattenoptionen und Gespräche. Kontra der Teilverlust meiner Prämisse.
Im Folgenden ein paar Eckdaten:
300 km - 7.45 Uhr - Kyffhäuser
373 km - 11 Uhr - Bad Sulza (Kontrolle 2, frei wählbar)
498 km - 18.06 Uhr - Autohof Berg (Kontrolle 3)
587 km - 22.21 Uhr - Meerane (Kontrolle 4, Shell-Tankstelle)
630 km - 0.40 Uhr - Frohburg (Endkontrolle, Total-Tankstelle)
10.08 Uhr endet für uns zwischen Tauhardt und Braunsroda die bis dato, zumindest was die Straßenoberfläche anbetrifft, trockene Reise. Mit dem Erreichen einer aus SW durchziehenden Front sollen uns nämlich im weiteren Brevetverlauf bis in die frühen Morgenstunden gewitterartige Niederschläge auf Trab halten. Der eine oder andere kommt ins Grübeln, welchen Sinn das An- und Ausziehen seiner Regenbekleidung bei diesen schülwarmen Bedingungen noch hat. Jener vergaß seine Sonnencreme und mutiert infolgedessen während der locker bewölkten Intermezzos zum klar erkennbaren Radfahrer mit Sparbräunung.
- Ein Gewitterschauer mit Hagel vor Stadtroda.
Um ehrlich zu sein: Ab Kilometer 500 fehlt mir die Motivation. Hügel kann ich problemlos treten, der Energienachschub passt, die Müdigkeit wird vom noch vorhandenen Adrenalin in erträglichem Maße unterdrückt. Und dennoch: Wenn das persönliche Ziel (24 h) außer Reichweite ist, heißt Ankommen nur noch Ankommen.
Verpflegung:
5.1 l Wasser, 1.5 l Cola
8 Doppelschnitten mit Weich- und Hartkäse, zwei Bagel mit Frischkäse-Salat-Füllung, eine Tüte Gemüse, 8 Riegel mit 32 % Proteingehalt, zwei Äpfel, eine Banane, eine Packung Kekse
630 km
6.736 hm
26:40 h Netto
30:05 h Brutto
- 19.15 Uhr: Auf dem Weg ins Vogtland.
Die Strecke
Audax Sachsen
Paris-Brest-Paris